Es gibt schnelle Autos und es gibt verdammt schnelle Autos. Und dann gibt es den 911 GT3 RS. Nach zwei Tagen, 269 Kurven und Kehren und 769 Schaltbefehlen fruchten jede Menge Erkenntnisse. Eine Erfahrungsreise an Bord des Superelfers in vier Schritten.
Mulmig ist mir zu Mute. Die mahnenden Worte hallen nach wie laute Silvesterböller. „Das ist unser letzter GT3 RS.“ Der Letzte. Der Allerletzte. Von drei Exemplaren fielen bereits zwei journalistischem Übereifer zum Opfer. „Porsche Stuttgart möge daher bitten, das Auto sowohl im Ganzen als auch fahrbereit wieder zu retournieren,“ ließ mich der Porsche-Übersteller wissen. Dieser Satz nagt am Gewissen des fahrerischen Schweinehundes. Aber andererseits: Derart mit Motorleistung bewaffnet und derart klebrig am Asphalt pickend, wird der GT3 RS den Rahmen der STVO spätestens im dritten Gang sprengen. Diesem 911er gilt es sich daher strategisch zu nähern.
Erster Schritt: Studium
Theoretisch haben wir hier einen Porsche 911. Theoretisch. Praktisch hat der GT3 RS mit einem 911er Carrera wenig Gemeinsamkeiten. Die Grundform ist da, auch die Zylinderanzahl und die Gangzahl stimmt. Aber sonst? Wenig. Sehr wenig. Die Räder und Reifen borgt sich der GT3 RS vom 918 Spyder, genau wie Sitze, Lenkrad und Bremsen. Das Dach ist aus Magnesium – das schabt 1,1 Kilos ab, die Motorhaube ist aus Carbon, und auch die restlichen Karosserieteile sind aus Verbundwerkstoffen. Auch die Heck- und die hinteren Seitenscheiben sind aus Polycarbonat. Dazu ist der Hintern breit wie jener des Turbos, was die Spur verbreitert und dem Sauger mehr Luft zuschaufelt. Und der Sauger verdient ein eigenes Kapitel. Dem 3,8- Liter-Sauger des GT3 wurden Titanpleuel spendiert und die Kurbelwelle ist zwar aus Stahl, aber jener nennt sich V361. Ein unglaublich reiner Stahl, der mehrere Male im Vakuum geschmolzen wird um sämtliche Unreinheiten loszuwerden. Das Verfahren borgte man sich übrigens vom 919 LMP1 Le Mans Racer. Mehr Hub hebelt den Hubraum auf vier Liter, dazu erzeugen die Ansaugöffnungen einen RAM-Effekt und diese Kniffe feiern sich mit runden 500 PS bei astronomischen 8.250 Touren. Mit den immensen 325er Semislicks und dank einer Hecksperre mit 100 Prozent Sperrwirkung beziffert sich der Standardsprint mit 3,3 Sekunden. Überzeugend – gelinde ausgedrückt. Und dann diese Optik. Der fette Spoiler am Hintern und die durchlöcherten Kotflügel vorne. Wozu ist das gut? „Die Kunden haben sich immer so einen RSR-Look gewünscht„, so Projektleiter Andreas Preuninger. Aber Porsche wäre nicht Porsche, wenn diese Zutaten rein optisch wären. Stimmt. Die geschlitzten Kotflügel entlüften den Unterboden. Aber warum sollte der Unterboden entlüftet werden? Und schon dringen wir in die Welt der Aerodynamik. Kleiner Exkurs: Die Luft über der 911er-Haut fließt schneller, als jene am Unterboden. Die Folge ist Unterdruck oder Auftrieb. Das gleiche Prinzip sorgt übrigens für fliegende Flugzeuge. Jetzt sollte aber ein 911er keinesfalls fliegen, und schon gar kein GT3 RS. Daher montiert man Spoiler und diese drücken das Gefährt auf den Asphalt – der Fachmann spricht hierbei von Abtrieb. Das funktioniert, ist aber ineffizient, weil sich der Spoiler gegen den Fahrtwind stemmt. Und ein Heckmotor-Elfer mit mächtigem Heckspoiler drückt zwar den Hintern auf die Straße, aber nicht die Vorderachse – daher die Radhausentlüftung. Dadurch wird der Auftrieb der Vorderachse minimiert ohne den Luftwiderstand nennenswert zu erhöhen. Das sieht man auch an den cW-Werten: GT3: 0,33, GT3 RS: 0,34. Entscheidend ist aber eine perfekte Balance zwischen Radhausentlüftung und Heckspoiler herzustellen und so ist es wohl kein Zufall, dass sich der 911 GT3 RS aerodynamische Erfahrungen vom 918 Spyder und dem Cup-911er „borgte“. Die Folge soll jedenfalls mächtig Vorderachs-Grip sein, was mich angesichts der 265er-Vorderreifen – in etwa das, was ein Cayman am Heck verbaut hat – auch wenig verwundern würde. Resümee: Der GT3 RS wurde gebaut um heimtückische Rennstrecken zu zermalmen. Oder wie es Preuninger ausdrücken würde: „Wir haben beim GT3 RS fast drei Mal so viel Abtrieb an der Vorderachse wie beim 991 GT3.“
Zweiter Schritt: Praxis
Im Inneren macht sich erstmals Gewohnheit breit. Abgesehen von den Stoffschlaufen – ein Gruß aus der RS-Vergangenheit – den tief ausgeschnittenen Schalensitzen – als würde man sich in eine perfekt angepasste Scheibtruhe setzen – dem Lenkrad des 918 Spyder und dem Käfig, gleicht das Cockpit einem Standard-911er. Aber das ändert sich schnell, sobald der Vierliter-Sauger erwacht und seine Umgebung mit einem wunderbaren Boxer-Klirren und -Rasseln hüllt. Auch das Getriebe mahlt und sirrt und die Geräuschkulisse deutet zweifelsfrei auf ein Trackday-Tool und keinen Innenstadt-Café-Racer. Und gleich vorweg. Nicht an allen Sonntagen des Jahres stößt man an die Grenzen des GT3 RS auf öffentlichen Straßen. Keine Chance. Es ist natürlich ein bisserl enttäuschend zu wissen, dass man nur an der fahrdynamischen Oberfläche kratzt. Aber warum sollte es auch anders sein. Bereits der GT3 ist nahezu perfekt, kann von wahren 911er-Fans auch als Alltagsauto genutzt wer- den und ist allzeit bereit für seine GT3-Magic. Der RS ist nicht viel anders. Sicher lassen die Polycarbonat-Scheiben mehr Geräusche ins Innere, aber der Motor ist bis 4.000 Touren zahm wie eine Hauskatze, das Getriebe schaltet butterweich und die Dämpfer sind nicht gnadenlos hart. Ein 500-PS-Sauger gibt sich artig wie ein Sängerknabe? Ernsthaft. Kein Stottern, kein kehliges Röhren, selbst im Kaltstart werkt der Sauger ohne mechanische Rauheit. Tja, und so kann man sich irren. Gerade als ich dachte, den GT3 RS als wohl erzogenen und mittlerweile in die Jahre gekommenen Sportler verstanden zu haben, zeigt er sein wahres Gesicht.
Dritter Schritt: Kurvensuche
Exakt 52 Kehren auf 35 Kilometern bei maximal 12 Prozent Steigung und mehrere tausend Höhenmeter. Die Nockalmstraße schlängelt sich durch eine sagenhaft schöne Mittelgebirgslandschaft, als würde man vom Himmel einen Wollfaden auf das Gebirge werfen und diesen Wollfaden wandelte eine Fahrspaß-Elfe in ein Asphaltband. Es ist Porsche-Revier. Und es ist Sommer. Hochsaison. Holländer, Tschechen… Okay, Planänderung. Der Wecker ratscht um 5:00 Uhr, spätestens um 7:00 beim Mauthäuschen. Der GT3 RS rasselt hallend durch die morgendliche und straßenleere Landschaft in Richtung Nockberge – gemütlich und kommod. Es stimmt, der GT3 RS ist alltagstauglich. Sicher ist ein Diesel-Passat komfortabler, aber für ein derartiges Trackday-Monster ist das Komfortmaß beeindruckend. Der Plan geht auf. Niemand ist hier. Die Holländer schlafen noch. Der Grip ist kolossal, fast unwirklich. Die Vorderachse beißt sich in den Asphalt, auch ein provozierter Lastwechsel führt nicht zum erwartenden Resultat. Das Heck bleibt, wo es ist – hinten. Und erst das Lenkgefühl. Die Lenkung fühlt sich zwar nicht vollends natürlich an, aber das ist völlig wurscht. Dieser 911er tanzt durch die Kurven, vermittelt Feedback und folgt messerscharf den Lenkbefehlen. Beim Anbremsen spricht das Chassis mit dem Fahrer, lässt ihm genau wissen, was sich abspielt. Mutigere Piloten können auch mit der Balance spielen, das Heck leicht werden lassen und mit den Eigenheiten eines Heckmotors spielen, bis das Sperrdifferential mit Torque Vectoring den Hintern wieder stabilisiert. Dazu der gigantische Vorderachs-Grip. Unglaublich natürlich fühlt sich der GT3 RS an – trotz Allradlenkung, Torque Vectoring und PASM. Das ist ohne Übertreibung das Höchstmaß an 911er-Feeling. Und dann dieser Sauger. Zwischen 7.000 und knapp 9.000 Touren wird der Boxer zum Berserker. Der unfassbare Sauger-Sound hypnotisiert mich beinahe, dazu das 95 Millisekunden kurze Schaltmanöver des PDK-Getriebes. Ahhh. Genug, aus. Fertig. Mit zittrigen Händen und verschwitzter Stirn steuere ich den nächsten Parkplatz an und sortiere meine Eindrücke.
Schritt Vier: Die Erkenntnis
Es braucht Zeit den GT3 RS richtig lieben zu lernen. Seine zahme Seite ist beinahe zu zahm, denn bis 4.000 Touren ist dieser 911er für wirklich jedes Fahrerlevel risikolos erlebbar. Und dann steckt da noch ein Rennstrecken-911er in seinem Inneren: Kurven pulverisierend, ohrenbetäubend kreischend, infernalisch beschleunigend und den Fahrer bis ans äußerste fordernd. Er gehört zu jener Gattung Sportwagen, die den Fahrer auffordern besser zu werden. Ständig zu lernen, seine Grenzen auszuloten. Und genau da liegt der Haken. Der GT3 RS liefert zweifelsfrei das direkteste, verrückteste aber auch stimmigste 911er-Feeling und all die unzähligen Updates von aufgeklebten Logo bis zu den Titan-Pleueln machen plötzlich Sinn. Unverschämt schnell und wendig, aber der Grenzbereich liegt jenseits von Gut und Böse. Und das ist einer der zwei Haken am GT3 RS. Erstens: Der GT3 RS vom Typ 991 ist mittlerweile nur mehr als Gebrauchtwagen zu haben, da ausverkauft. Und Zweitens: Sein Grenzbereich siedelt derart hoch, dass der Fahrspaß-Kick auf öffentlichen Straßen von einem potentiellen Führerscheinverlust begleitet wird. Ein Höllengefährt, aber ohne das theatralische Drama eines Ferrari 458 Speciale.