Auf Pilgerfahrt

Eine Autofahrt von Stuttgart nach Wien mutiert zur Langstreckenmeisterschaft im Zeitraffertempo und zum Eiertanz zwischen Wahnsinn und Unsinn. Zehn Stunden an Bord des McLaren 650S haben nicht mein Leben, wohl aber meine Erfahrungswelt enorm bereichert. Der 650S lebt nicht nur, er schreit, stampft, tanzt, flüstert, rast und hechtet.

Es war einer dieser Tage. Ein Montag. Ein nicht unbedingt von höchster Motivation gezeichneter Montag. Und dann das. Ein Anruf aus dem Nichts: „Willst du nächsten Sonntag nach Stuttgart fliegen?“ Das klingt wie eine Zwickfrage. Stuttgart? Hmm. Was ist noch mal dort? Porsche, das Mercedes-Museum, ein hoher Fernsehturm und eine monströse Baustelle. Um ehrlich zu sein, innerlich kneift’s mich zum „na ja“. Und dann haut’s mich beinahe um. „Du könntest den McLaren 650S von Stuttgart nach Wien überstellen – bis Montag 17 Uhr gehört er dir.“ Ein innerliches Feuerwerk entzündet sich augenblicklich und ich schwimme im Endorphin-Teich. Das professionelle „Ich“ vermeldet ein „könnte ich machen“ zum Absender des Anbots, und jetzt heißt es nur noch eine Woche zu warten. Die Woche ist vergangen, recht flott sogar und sonntags sitze ich im Flieger Richtung Stuttgart, genauer gesagt zur Motorworld in Böblingen. Jenes gilt als Eldorado der Schönen und Reichen. Hier am „Graf Zeppelin Platz“ verkaufen sich Bentleys, Ferraris, Lamborghinis und Maseratis – Tür an Tür. Mittendrin thront eine gläserne Oldtimer-Garage mit sagenhaft seltenen Schätzen wie Ford GT40, diversen Lambos und zahllosen Ferraris. Nochmals mittendrin hat sich McLaren mit einem kleinen und äußerst feinen Schauraum eingenistet. Zu sehen gibt’s einen 12C, einen 650S und ein Roh-Chassis, das einem ultimativen Luxus-Whirlpool verdächtig ähnlich sieht. Vielleicht als Ideen-Booster für die McLaren-Lifestyle-Abteilung.

Die Übergabe ist flott. Eine Unterschrift, ein gemütliches Viertelstündchen Plausch über Neuerungen und Handhabung und der Schlüssel – im Carbon-Design – schlummert in meiner Hosentasche. Vielleicht vorweg. Erste Reaktionen auf den 650S sind fulminant und so gilt jener nun auch von offizieller Seite als Nachfolger des 12C. Das nur zur Vollständigkeit. Verdeck auf, Motor an und ich rolle aus der Halle in Richtung Hotel. Das sind heiße 180 Meter. Ai. Ich denke sofort an die Geschichte mit dem Esel und der Karotte und fühle mich augenblicklich wie ein Esel. Da hab’ ich einen McLaren 650S und muss noch eine Nacht drüber schlafen. Ich nutze die Zeit anders, mache Schnappschüsse und installiere die Action-Cam. Der Engländer wird mir bei einem persönlichen Rekord helfen: Challenge 300. Soll heißen: Tempo 300 auf Deutscher Autobahn. Völlig legal und dennoch wahnsinnig und unsinnig zugleich. Jetzt heißt’s aber ab ins Hotel, die Sonne ist schließlich bereits abgetaucht.

Im Hotelzimmer lasse ich nochmals sämtliche Infos über den 650S Revue passieren. Da wäre eine neue Front, die nicht nur zufällig an den P1 erinnert. Das übrige Design scheint vertraut, auch im Inneren. Ein neues und vor allem besseres Navi – so zumindest versichert es McLaren – reicht allemal. Optisch würde ich den 650S persönlich mit dem frivolen Wörtchen „einfach saugeil“ bilanzieren. Und erst diese Farbe. McLaren und Facelift? Passt das zusammen? Nein. Und das ist gut so. Die neue Front erzeugt nämlich 25 Prozent mehr Abtrieb und der aktive Heckspoiler – Stichwort Airbrake – presst den 650S ebenso stärker aufs Asphaltparkett. Weiters: 650 PS, ein flotteres Doppelkupplungsgetriebe, ein Kraft-Booster beim Schalten, ein gespreizteres FahrwerksSetting von weicher bis härter und ein volleres und feineres Klangbild. All das wirkt wie Koffein auf meine Schläfrigkeit …

Endlich. Es geht los. G’schwind frühstücken und ab die Post. Der McLaren erwacht und quittiert sein Ermuntern mit einem lauthalsen Brüllen – spätestens jetzt sind alle Gäste munter und bevor mich fliegende Flaschen ereilen, flitze ich Richtung Autobahn. Zuerst geht’s Richtung München, dann nach Deggendorf, weiter nach Passau und über die Westautobahn mit einem Abstecher durch den Wienerwald zum Wiener McLaren-Stützpunkt. So der Plan. Das sind nach Adam Riese rund 700 Kilometer und dafür bleiben mir neun Stunden. Auf geht’s. Die ersten Eindrücke: Der Engländer dämpft sauber, schaltet weich, die Windgeräusche wurden minimiert und selbst die Schalensitze sind bequem. Sitze ich etwa in einem Langstrecken-Sportler? Ich werde nachdenklich … …nicht für lange. Ein kurzer Gasstoß beamt mich zurück aus der Gedankenwelt. Wahnsinn, der reinste Wahnsinn. Der V8 brüllt,  die Turbos pfeifen munter, die Hinterräder kämpfen um Traktion und ich bin bei dieser Aufführung ein Spielball der Physik. Eins, zwei, drei – Tempo 100 ist geknackt. Und wer Donaudampfschifffahrtskapitänskajüte ausspricht, rast mit Tempo 200 über die Autobahn. Oder exakt 8,6 Sekunden – nur fürs Protokoll. Es ist die Zuspitzung des Wahnsinns, komprimiert in die Hülle eines Sportwagens, gelabelt als McLaren – beim 650S steht tatsächlich nun McLaren an der Nasenspitze, um Unkundige zu erleuchten – und losgelassen durch meine Wenigkeit. Die Challenge 300 ist hiermit gestartet. Und nach zehn Minuten auch schon wieder beendet. Ein kurzes, freies Autobahnstück, kein Tempolimit und der McLaren erreicht 307 km/h, als ob es das Normalste der Erde wäre. Ich fühle mich jedoch keinesfalls normal. Die Hände schwitzen, der Puls rast und meine Ohren rebellieren gegen das mordsmäßige Arbeitsgeräusch des Biturbo-V8. Jener klingt – speziell im Track-Modus – überirdisch mächtig. Akustisch potenziert sich das Zylinder-Orchester bei geöffneter Verdeckhaube – vollautomatisch bis Tempo 30. In Tunneln lassen sich mit Minisprints wahre Donnergewitter simulieren.

Die Deutsche Autobahn hat seinen Reiz. Kein Zweifel. Doch ich hab schnell genug Geradeaus-Speed inhaliert, zumal der 650S bei dieser Fahrweise Benzin vertilgt wie ein Lkw. Weiter als 25 Liter im Mittel. Ab Passau purzelt der Konsum auf 12 l/100 km, also bei Tempo 130. Ein tadelloser Wert. Entspannen kann ich mich dennoch nicht. Ich hock’ am Silbertablett. Bei jedem Tankstopp eilen interessierte Nasen und Kameras herbei und selbst während der Fahrt wird gefilmt und gegafft bis zum Abwinken. Da kommt mir die Autobahnausfahrt St. Christophen wie gelegen, um als Grande Finale das kurvige Geläuf des Wienerwaldes zu erkunden.

DAS ist das Revier des 650S. Kein Zweifel. Kehren, Kurven, Biegungen, kurze Geraden und harte Bremspunkte. Die Keramikbremsen sind vom x-ten Manöver unbeeindruckt und die Semislick-Bereifung vertilgt die brachiale Gewalt von 678 Nm effizient. Sicherlich schwänzelt das Heck und die Vorderreifen tanzen in flotten Kurven, denn nach jedem Gangwechsel explodiert ein Kraftschub hinter meinem Rücken, presst mich in die Sitzschalen und verlangt höchste Alarmbereitschaft. Dennoch fühlt sich der McLaren wie ein perfekt sitzender Rennoverall an. Er macht, was ich will, sofern ich seinen Grenzbereich respektiere. Spaßfaktor: unendlich. Um ehrlich zu sein, mir ist nun völlig wurscht, 300 km/h auf der Autobahn geknackt zu haben. Es sind die engen und verschlungenen Kurven des Wienerwaldes, die mich in den Bann des 650S gesaugt haben. McLaren hat gegenüber dem 12C im Zeitraffer gelernt und begriffen: Der 650S lebt nicht nur, er schreit, stampft, tanzt, flüstert, rast, hechtet und … begeistert.

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