Der X-Bow ist auch im neunten Lebensjahr der Extremist und den Extremen. Extrem schnell, extrem lässig zu fahren, extrem ungeeignet für Fahranfänger und extrem unhandlich im Alltag. Trotzdem sollte jeder Petrolhead einen in der Garage haben. Wir haben KTM in Graz besucht und uns einen X-Bow geschnappt.
Und der hat wirklich kein Dach? „Nein.“ Auch keine Frontscheibe? „Nein.“ Und wenn es regnet? „Egal. Der ist wasserdicht.“ Und der Fahrer? „Der ist es früher oder später auch.“ Der Passant schüttelt den Kopf und klopft mit dem Zeigefinger auf das Carbon. Und das ist sicher? „Absolut sicher.“ Auch das gehört zum täglich Brot des X-Bow-Fahrers, oder nennen wir ihn lieber den „X-Bow-Bändiger“. Dabei feiert die Mischung aus Renninsekt und Fluggerät 2018 seinen 10ten Geburtstag. Mehrheitlich ist der KTM jedoch auf Rennstrecken anzutreffen, sonst würden Passanten sich nicht reihenweise die Köpfe verrenken und Auto-Insassen die Smartphones zücken für bebilderte WhatsApp-Nachrichten oder Social-Media-Postings. Ein bisserl nervig ist es schon. Also das Sitzen am Präsentierteller in Form eines Kohlefaser-Monocoques mit quietschgrünen Karosserie-Teilen. Es ist unmöglich, unbemerkt von A nach B zu kommen. Wie ein Schaf mit rosa Fell inmitten einer Schafherde. Wobei der X-Bow kein Schaf, sondern ein richtig böser Wolf ist. Es gilt sich den Fahrleistungen mit Vernunft zu nähern. Ist der Asphalt griffig? Wie hoch die Luftfeuchtigkeit? Die Asphalttemperatur? Könnte die nächste Waldkurve feucht sein? Check, Check, Check und Check, ich kann Vollgas geben. Unter Turboladergebläse fetzt der Österreicher davon und schiebt wie beses- sen an. Drehen, Schalten, Drehen, Schalten und schon sind Tempo 100 erreicht. Die vier Worte lesen dauert genau so lange wie der Sprint auf Tempo 100: rund vier Sekunden. Eine genaue Kommazahl ist übrigens Wurscht, weil das Erlebte ohnehin mehr einem Katapultstart ähnelt. Der X-Bow ist sicher die aufregendste Art Verbrennungs-Motorkraft zu erleben. Andere mögen zwar flotter auf Tempo 100 hechten, aber extremer fühlt es sich an Bord der offenen Carbon-Schale an.
KTM ließ nicht locker
Dabei hätte es auch ganz anders ausgehen können. 2008 startete KTM die Fertigung in Graz mit allzu breiter Selbstbewusstseins-Schulter. Man baute zu viele Gefährte, die erwartenden Verkaufszahlen hinkten hinterher und das Projekt stand an der Kippe. Aber KTM ließ nicht locker – zum Glück. Rund neun Jahre später führt mich Dennis Rankl mit zufriedener Miene durch die Fertigungshalle im Grazer Autocluster. Man müsse sogar baldigst die Motorsport-Abteilung nach Oberösterreich verlegen. Es herrscht Platznot. 26 Mitarbeiter arbeiten hier in Graz und in einer Woche werden exakt 2,8 X-Bows gebaut. Das ist natürlich ein Durchschnittswert, denn ein X-Bow R (ohne Scheibe) ist flinker gebaut als ein X-Bow GT (mit Scheibe) und der GT4 (reines Renngefährt) benötigt die längste Aufmerk- samkeit. „Wir bauen nun 100 Autos pro Jahr und normalerweise beträgt die Lieferzeit gut zwei Wochen. Derzeit muss man aber schon ein bis zwei Monate warten, weil die Nachfrage hoch ist.“ Wir schlendern durch die Fertigung, wo sich die Teile haushoch in Regalen türmen. „Hier werden die Radträger und die Bremsen vorbereitet. Ein Computer überwacht sämtliche Anzugsmomente der Schrauben. Er gibt auch die Reihenfolge der Verschraubung vor.“ Das ist für eine Kleinserie wie dem X-Bow bemerkenswert, aber auch äußerst wichtig für ́s Qualitätslevel. Handarbeit war ja nicht immer ein Garant für höchste Qualität. „Unsere Mitarbeiter werden für jeden Arbeitsschritt geschult, können sich aber dann ihre Lieblingsstation aussuchen. Auch das ist wichtig für die Qualität.“ Ein bisserl wie ein Hauspatschen für Riesen wirkt das Herz des X-Bows. Es wiegt 78 Kilo, ist vollständig aus Kohlefaser und entspricht dem FIA-Reglement – das Monocoque. „Wir können es auch reparieren. Auch ein abgerissenes Rad ist an sich kein Problem. Und hier warten die Motoren,“ so Dennis. Zwei Liter Hubraum, vier Zylinder, ein Turbo und vier Audi-Ringe. KTM verpflanzt einen Audi-S3-Motor mit runden 300 PS. „Aber auch weit über 400 PS sind möglich.“ Ein bewährtes Audi-Aggregat kann kein Fehler sein. Dennoch ist dieser Turbo ein kleiner Hinkelstein. „Wir würden gerne nach Amerika expandieren. Das würde Stückzahlen bringen. Aber der Audi-Motor könnte Kunden dazu bringen, Audi zu klagen. Weil Audi mehr Kapital hat als KTM.“ Angesichts der Verrücktheit des X-Bow wäre das auch nicht verwunderlich. Aber die Amis würden auch weitere Umbauten verlangen. „Wir gehen trotzdem nach Amerika. Allerdings nicht auf die Straße, sondern nur an die Rennstrecke. Das passende US-Sondermodell ist bereits fertig.“ Wir gehen weiter. Der Motor wird mit einem Rahmen und dieser dann mit dem Monocoque verschraubt – die Hochzeit. Dann werden die restlichen Teile Stück für Stück ange- schraubt. Insgesamt 800 Einzelteile. „Im Endeffekt ist es Lego für Erwachsene.“ Dann gibt’s erstmals Flüssiges, der Motor wird per Software getauft und nach der Qualitätskontrolle dreht ein Mitarbeiter noch eine g’scheite Testrunde. Voilá.
Motorradl-Auto
Das Prozedere ist nichts für Hudler und es dauert, bis das Motorradl-Auto abfahrbereit ist. Lenkradl unterm Arm, einsteigen, Gurte öffnen, Beckengurt zuziehen, Lenkradl einrasten, Helm auf, Schultergurte einklinken und festziehen, Start drücken, Mode drücken und nochmals Start drücken. Ach verdammt, ich habe vergessen auf Kupplung und Bremse zu treten. Und der Turbomotor brummt sich ins Leben. Reversieren? Schluck. Man sieht nix. Und der Wendekreis ist auch riesig. Im Alltag entlockt der X-Bow Schweißperlen und schnell ist das X-Bow- Revier abgesteckt. Es ist das kurvige Geläuf, also dort, wo sich auch Motorräder wohlfühlen. Wenig überraschend. Ein bisserl enttäuschend ist aber das Schalterlebnis. Denken wir nur an die Knackigkeit eines MX-5-Getriebes oder das fantastische Gänge-Einrasten einer Lotus Elise. Der KTM-Schalthebel muss mit Strenge geführt werden und rastet nur mit Nachdruck ein. Dafür ist die Lenkung ein Schauspiel für sich. Jedes Kieselsteinchen kribbelt an die Fingerspitzen und verliert die Vorderachse Grip, wissen das die Hände lang bevor ́s gefährlich wird. Die Lenkung „spricht“ und das wissen fahraktive Piloten sehr zu schätzen. Und unerwartet komfortabel fegt der KTM über den Asphalt. Er ist nicht knüppelhart, sondern dämpft und federt Unebenheiten aus der Fahrbahn. Und das Beste: Ich kann dem Dämpfer bei der Arbeit zuschauen – mit Sicherheit das coolste Design- und Technikfeature überhaupt. Ein „Hund“ ist aber der Turbomotor. Zahm und brav schiebt der Vierzylinder bis 3.000 Touren. Aber dann. Und auch nach dem x-ten Mal überrascht mich die Leistungsexplosion. Wie brutal der X-Bow plötzlich anschiebt und die 790 Kilo Lebendgewicht vorwärts peitscht. Selbst im zweiten Gang wird der Hintern leicht und drängt nach außen. Das ist absolut nichts für Anfänger. Zumal es weder ein ESP noch ein ABS gibt. Ein Gasstoß in der Kurve und der X-Bow kreiselt sich um die Hochachse. Speziell auf älterem Asphalt tanzt das Heck und verlangt dem Fahrer einiges ab. Lohn dieser „harten“ Arbeit ist ein unvergleichlich direktes Fahrgefühl und ein Pilotengrinser über beide Ohrwaschel. Der KTM ist nämlich kein heimtückisches Fahrbiest, er braucht nur eine kundige Hand und dieser gehorcht er in jeder Kurve. Mit der Zeit erwartet man Lastwechsel und spielt mit dem federleichten Hintern. Aber eines bleibt: die kaum zu begreifende Turbo-Brutalität.
Kultivierte Maniac-Power
Wie geht ́s weiter? „Es ist ziemlich fix, dass der X-Bow einen Nachfolger bekommen wird,“ so Dennis Rankl von KTM. „Aber sicher erst nach 2020. Und wir werden auch alle Anregungen einfließen lassen.“ Stichwort: Laderaum. Weder der Zulassungsschein noch das abnehmbare Lenkradl lässt sich wegsperren. Und das Lenkradl sollte bei geparktem KTM „am Mann“ sein.
Fazit: Der X-Bow ist kurz vor seinem 10. Geburtstag noch der Extremist unter den Extremen. Extrem schnell, extrem lässig zu fahren, extrem ungeeignet für Fahranfänger und extrem unhandlich im Alltag. Trotzdem sollte jeder Petrolhead und Autofan einmal X-Bow gefahren sein. Wer keine 105.309,- Euro parat hat (Wer hat das schon ?!?), kann am Red Bull Ring auch X-Bow-Luft schnuppern – zwischen 60,- Euro (10 Minuten) und 850,- Euro (1 Tag plus Fahrertraining).